Die Psychoneuroimmunologie befasst sich mit Zusammenhängen zwischen spezifischen Lebenssituationen, seelischem Befinden, Persönlichkeitsmerkmalen und dem Immunstatus. Die Psychologin Janice Kiecolt-Glaser und der Immunologe Ronald Glaser (1988, 1991) untersuchten Menschen, die verschiedene Belastungen durchlebten, und konnten parallel dazu immunologische Veränderungen bei ihnen nachweisen. So fanden sie eine Abnahme der Killerzellen- und Helferzellenaktivität bei Medizinstudenten während längerer Block-Examina. Von großer Bedeutung für den Immunstatus scheint auch die Qualität der zwischenmenschlichen Beziehungen und das Ausmaß sozialer Unterstützung zu sein: Bei Studenten, die sich einsamer fühlten als ihre Kommilitonen, war die Killerzellenaktivität vermindert. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen Untersuchungen zum Immunstatus von Menschen, die ihre Partnerschaft als ungünstig erlebten, die sich von ihrem Partner getrennt hatten oder deren Partner gestorben war. Nach Trennungs- und Verlusterfahrungen ist (verbunden mit einer Immunschwäche) das Risiko, an Infektionen oder auch Krebs zu erkranken, erhöht. Für spezifische Phasen der Trauerreaktion und für Depressionen konnten deutliche Schwächungen der Immunfunktion nachgewiesen werden. (Kronfold 88, Schleifer 83) Untersuchungen an Familienangehörigen und Betreuern von Patienten, die an der Alzheimerschen Krankheit litten, zeigten,
dass sie sich im Vergleich zu Kontrollpersonen belasteter, depressiver fühlten und ihre Immunfunktionen signifikant schwächer waren. Dies könnte auch auf Betreuer anderer Schwerkranker zutreffen.
Verschiedene Forscher (Locke 1984; Tecoma & Leighton 1985) haben darauf hingewiesen, daß nicht alle Menschen auf Lebensbelastungen mit Störungen der Immunfunktion reagieren. Wichtiger als die objektiven Stressoren scheint die subjektiv-emotionale Bewertung der Situation zu sein: Vor allem das Ausmaß erlebter Feindseligkeit, Angst, Hilflosigkeit, Einsamkeit, Depression beziehungsweise das Vertrauen, die Belastung bewältigen zu können. So zeigten die Untersuchungen von Locke und seinen Mitarbeitern keine signifikanten Zusammenhänge zwischen objektiv eingeschätzten Belastungswerten und der in verschiedenen Zeitabständen untersuchten Immunfunktion bei Studenten. Als in die Analyse jedoch Persönlichkeitsmerkmale (Depression, Ängstlichkeit, Zwanghaftigkeit) einbezogen wurden, zeigten sich sehr interessante Ergebnisse:
Menschen mit einem höheren Ausmaß an seelischen Störungen waren Lebensveränderungen und Belastungen weniger gut gewachsen und reagierten auch mit einer Verminderung der Immunkompetenz, während psychisch stabile Personen dieselben Belastungen besser bewältigten und zugleich eine höhere Immunkompetenz hatten.
Wichtig für die gesunde Immunität scheint die Erfahrung zu sein, bei Belastungen eine gewisse Kontrolle über die Lebenssituation zu haben. Angst und Hoffnungslosigkeit, das Gefühl, einer schwierigen Situation nicht entfliehen und sie nicht kontrollieren zu können, beeinträchtigen die Immunfunktion besonders stark. Dies ist vor allem in Tierversuchen gut nachgewiesen. So reagierten Ratten, die aversiven Reizen hilflos ausgeliefert waren, mit einer Verminderung der Killerzellenaktivität. Ratten, die unter Versuchsbedingungen lebten, in denen sie lernten, die aversiven Reize durch ihr Verhalten zu kontrollieren, entwickelten dagegen besonders aktive T-Lymphozyten (Laudenslager & Maier 83).
Zusammenhänge zwischen dem Immunstatus und aktiver beziehungsweise passiver Krankheitsbewältigung wurden bei Krebspatienten beobachtet. Sandra Levy (1984) untersuchte 5 Brustkrebs-Patientinnen eine Woche und drei Monate nach der Brustoperation. Sie kontrollierte jeweils die Aktivität der Killerzellen, die eine besondere Rolle bei der Beseitigung abnormer Zellen spielen. Parallel erhob sie psychologische Testdaten und ermittelte, wie die Frauen sich mit ihrer Krankheit auseinandersetzten. Sie stellte fest,
dass die Aktivität der Killerzellen bei denjenigen Frauen besonders verringert war, die passiv und depressiv reagierten. Ähnliche Effekte wurden bei Frauen im Zusammenhang mit depressiver beziehungsweise nichtdepressiver Verarbeitung einer Fehlgeburt beobachtet (Naor 83).
Überraschende Beobachtungen zur selektiven Wirkung von Persönlichkeitsmerkmalen und psychosozialem
Stress auf Helfer- und Hemmzellen machten Medizinpsychologen an der Universität Wien (Kropiunigg 1989). Sie untersuchten seelische Haltungen und Immunreaktionen von gesunden Medizinstudenten, die (freiwillig) an einem Selbsterfahrungsseminar teilnahmen. Fünf Tage lang beschäftigten sie sich mit ihrer zukünftigen Rolle als Arzt, setzten sich mit persönlichen Einstellungen und der Wirkung ihrer Person auseinander. Das Seminar stellte einen erheblichen Stressor dar. Die Situation forderte intellektuelle Einsicht und emotionale Offenheit und gab keine Anhaltspunkte für «richtiges» Verhalten vor. Zusätzlich wurden emotionale und psychosomatische Reaktionen der Teilnehmer in den
Lernprozess einbezogen. Sechs Tage vor Beginn des Seminars erfolgte ein psychologischer Test und eine erste Überprüfung des Immunstatus. Am vierten Seminartag (höchstes Belastungsniveau) wurde der Immunstatus erneut kontrolliert. Am Ende des Seminars bewerteten die Teilnehmer ihre Erfahrungen (alle positiv). Drei Wochen später wurde der Immunstatus erneut überprüft.
Bei Teilnehmern mit einem erhöhten Anlehnungsbedürfnis, die Schutz, Zuwendung, Rat, Trost bei anderen suchten oder diese Bedürfnisse durch Hilfsbereitschaft und Aufopferung kompensierten, zeigte sich am vierten Seminartag eine deutliche Verminderung ihrer Helferzellen. Teilnehmer mit ausgeprägtem Leistungsstreben, hoher Disziplin und Wettbewerbsorientierung entwickelten dagegen eine erhöhte Anzahl von Hemmzellen. Beide Reaktionen - die Verminderung der Helferzellen wie der Anstieg der Hemmzellen - bewirken eine Schwächung des Immunstatus. Sowohl die übertriebene soziale Orientierung als auch das selbstbezogene Leistungsstreben reflektieren Aspekte der Selbstunsicherheit. Beide Haltungen können unter sozialem Druck, in Situationen, die keine klare Verhaltensorientierung vorgeben, immunologisch riskant sein.
Drei Wochen nach Ende des Seminars zeigten sich ungünstige Langzeiteffekte für den Immunstatus bei Teilnehmern mit hohem sozialem Anerkennungsbedürfnis, die immer noch stark mit ihren Erlebnissen beschäftigt und um ihren Ruf besorgt waren. Teilnehmer, die im
Anschluss ein geringes Geselligkeitsbedürfnis hatten, lieber allein waren, zeigten normale Immunfunktionen. Die Untersuchung macht auch deutlich,
dass Selbsterfahrungsgruppen durchaus erhebliche und gefährdende Stressoren darstellen. Nicht immer gelingt es den Leitern, die Teilnehmer zu einer im seelischen und immunologischen Sinne heilsamen Bewältigung ihrer Erfahrungen zu führen.
Es liegen mehrere Untersuchungen vor, die sich mit Interventionen zur Beeinflussung der Immunfunktion befassen. Sie deuten darauf hin,
dass Entspannung einen günstigen Einfluss haben kann. Kiecolt-Glaser & Glaser (1988) untersuchten die Killerzellenaktivität bei alten Menschen im Zusammenhang mit (a) sozialem Kontakt und (b) einem Entspannungstraining und verglichen die Effekte mit einer Kontrollgruppe. Die alten Menschen, die einen Monat lang dreimal wöchentlich eine Entspannungsübung durchführten, entwickelten eine deutlich höhere
Killerzellenaktivität, das heißt, sie verbesserten ihren Immunstatus. Soziale Kontakte - Besuche von Studenten führten zwar zu einer Verbesserung der Stimmung, hatten jedoch keinen nachweisbaren
Einfluss auf den Immunstatus. Auch bei Medizinstudenten, deren Immunstatus während anstrengender Block-Examina geschwächt war (was nicht auf Mangelernährung beruhte) und die ein regelmäßiges Entspannungstraining praktizierten, konnten positive Effekte beobachtet werden.
Weitere Studien (Peavey et al. 1985; Jasnovski & Kugler 1987) zeigten,
dass bei Gesunden, die unter hohem
Stress standen, regelmäßige Entspannungsübungen leichte Störungen der Immunfunktion verbesserten und das Vertrauen stärkten die Belastungen bewältigen zu können. Mit anderen Studien gingen Kiecolt-Glaser & Glaser (1988) der Vermutung nach,
dass die offene Auseinandersetzung mit belastenden Erfahrungen sich günstig auf das psychophysiologische Befinden auswirkt. Sie regten zwei Studentengruppen an, über einen Zeitraum von sechs Wochen in einem Tagebuch (a) traumatische Erlebnisse, (b) weniger bedeutsame, eher alltägliche Erfahrungen zu notieren. Bei den Studenten, die sich mit traumatischen Erfahrungen beschäftigten, zeigte sich eine positive Aktivierung des Immunstatus; sie benötigten auch weniger medizinische Betreuung. Besonders positive Veränderungen des seelischen, körperlichen und immunologischen Befindens wurden bei Studenten beobachtet, die den Mut hatten, sich mit Belastungen und » Geheimnissen», die sie jahrelang geleugnet hatten, sowohl in ihrem Tagebuch als auch in Gesprächen mit anderen auseinanderzusetzen.
Andere Studien deuten an, dass die Immunfunktion durch Vorstellungsübungen
beeinflusst werden kann: Howard Hall (82) gab gesunden Versuchspersonen unter Hypnose verschiedene Bilder zur Stärkung und Aktivierung der T-Zellen vor.
Jüngere Teilnehmer reagierten mit einem deutlichen Anstieg der T-Lymphozytenzahl. John Schneider und seine Mitarbeiter (1983) leiteten gesunde Studenten unter Entspannung zur Imagination spezifischer
Fresszellenaktivitäten an. Die Teilnehmer sollten sich vorstellen, wie die
Fresszellen die Blutbahn verlassen und Abfallprodukte im Körpergewebe beseitigen. Die Effekte der Imagination wurden durch Blutuntersuchungen vor und nach der Übung überprüft, um festzustellen, ob sich die Anzahl der
Fresszellen im Blut der Teilnehmer tatsächlich verringert hatte. Es wurde - auch bei Wiederholungen des Versuchs - ein signifikantes Absinken der
Fresszellenanzahl nach der Imagination gemessen.
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